Article about Nebulous Nix

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Orchestraler Sternennebel

Das Luzerner Sinfonieorchester unter Jonathan Nott f?hrt das neue St?ck ?Nebulous Nix? des jungen Japaners Kenji Sakai auf.


Von Thomas Meyer

137 Milliarden Lichtjahre, mithin die Geschichte des Weltraums, werden hier gleichsam in nur fünfzehn Minuten Musik komprimiert, so schreibt Kenji Sakai zu seinem neuen Orchesterstück "Nebulous Nix". "Eingangs, nach einem Sternschnuppen, beginnt sich der Raum mit einem interstellaren Staub zu füllen, der von den Perkussionsinstrumenten und durch geräuschhafte Klänge des Orchesters repräsentiert wird. Später erscheinen unterschiedlich schnelle Pulsare (Neutronensterne), dann der Archetyp eines Schwarzen Loches, das sich vergrössert und alles im folgenden Abschnitt verschlingt... Und so fort." Der Text des Komponisten überlässt es unserer Phantasie, was wir uns da weiter vorstellen wollen. Astrale Räume und tiefe Dimensionen sind damit auf jeden Fall geöffnet.

Kenji Sakai liebt die klanglichen Farben und die weiten Formen, die ihm ein imaginiertes Weltall offenbart. Seit einiger Zeit beschäftigt er sich mit dem Thema. 2006-2007 entstand "Hexagonal Pulsar" für zwei Klavier, zwei Perkussionisten und drei im Raum verteilte Ensembles; zwei Jahre später folgte "Astral/Chromoprojection" für Schlagzeug, achtzehn Musiker und Elektronik. "Nebulous Nix", dieser feinste, fast nicht wahrnehmbare Astralnebel, bildet also den Abschluss einer Trilogie. Im Gegensatz zu den ersten beiden Stücken bilden sich hier keine solistischen Partien aus. Die drei Perkussionisten sind völlig mit dem Orchester verschmolzen, dies aber dergestalt, dass man zuweilen glaubt, elektronische Klänge zu vernehmen. Sinnlich wahrnehmbar wird so eine unkörperliche Irrealität, die einem mitunter durchaus kosmisch vorkommen mag. Die Klänge werden zu Metaphern für Himmelserscheinungen wie das Schwarze Loch oder die Sternennebel. Mithilfe der Elektronik des Pariser Forschungsinstituts IRCAM gelang es Sakai, diese Bilder klanglich weiter zu verarbeiten. Die feinen Perkussionsklänge werden dabei gleichsam im Sinfonieorchester "orchestriert" bzw. wie über Lautsprecher vergrössert. Aus der Orchestration entsteht so ein lebender Organismus, der sich modifiziert, dreht und zersetzt.

Der 33 Jahre junge Komponist aus Osaka begann schon mit sieben Klavier und mit fünfzehn Komposition zu studieren. 2002 kam er nach Paris, um sich am Conservatoire zu fortzubilden. In Genf hat er schliesslich bei Michael Jarrell seine Studien abgeschlossen. Mit dieser sehr bildhaften und farbigen Musiksprache steht Sakai sowohl in der Tradition der japanischen als auch der französischen Musik. Schon Toru Takemitsu, der 1996 verstorbene bedeutendste japanische Komponist, ging einst nach Frankreich und wurde hier wesentlich geprägt. Kenji Sakai folgte seinem Weg. Unter Frankreichs grossen Komponisten fand er wichtige Vorbilder: Olivier Messiaen für die Klangfarben, Pierre Boulez für die Behandlung der Perkussionsinstrumente und Gérard Grisey für die mikrointervall geprägte, spektrale Harmonik. Hinzu kommt als wichtiger Impulsgeber der deutsche Komponist Helmut Lachenmann. Bei ihm studierte Sakai zwar ebenfalls nicht direkt, aber Lachenmanns Musik lehrte ihn, auch geräuschhafte Elemente konsequent einzusetzen und sie mit den "normalen" Orchesterfarben zu vermischen. In "Nebelous Nix" geschieht dies auf vielfältige Weise.

Lachenmann war es übrigens auch, der 2009als Juror beim Takemitsu-Kompositionswettbewerb fungierte und Kenji Sakai damals den ersten Preis verlieh. In seiner Laudatio sagte er, das Preisstück "Hexagonal pulsar" zeuge von einem hochentwickelten kompositorischen Handwerkliche und von einem virtuosen Umgang mit Klang und Zeit. "Man kann zwar hören, wo der Komponist studiert habe, aber das ist kein steriles Epigonentum, denn die Musik entwickelt sich auf höchst persönliche Weise, ohne Furcht vor Trivialität, mit Leichtigkeit und Helligkeit." Diesen Qualitäten wird man auch in "Nebulous Nix" wiederbegegnen, wenn diese Auftragswerk des Luzerner Sinfonieorchesters (LSO) nun erstmals in einem Konzert erklingt.

Die Uraufführung ist übrigens auch Teil einer Luzerner Erfolgsgeschichte punkto zeitgenössischer Musik. Hier hat sich neben dem berühmten Lucerne Festival eine schöne Szene entwickelt: Es gibt ein aktives Forum, das ungew?hnliche Events plant; an der Musikhochschule wird Sakai denn auch einen Workshop geben; und das LSO präsentiert mittlerweile mit schönster Regelmässigkeit Uraufführungen und hat damit in der Schweiz eine führende Rolle übernommen. Er danke, so schreibt der Komponist, dem Luzerner Sinfonieorchester, dass es ihm die schöne Gelegenheit bot, seine kosmische Vision, fast so wie er sie sich erträumt hatte, nun real zu präsentieren. Jonathan Nott, jener Dirigent, der einst als Chef dem LSO so wichtige Impulse gab, wird "Nebulous Nix" aus der Taufe heben. Ihm ist das Werk auch gewidmet.


from "Musik & Theater Journal" 4/2011, ©Thomas Meyer